Inhalt
Eines Nachts macht die 17- jährige Flora eine erschreckende Erfahrung: Durch Zufall findet sie heraus, dass jede schlafende Seele des Nachts ein Doppelleben in der sonderbaren Stadt Eisenheim führt. Manchmal, so wie Flora in jener Nacht, erwacht jemand aus seinem Schlaf und wird zu einem „wandernden“, der dann die Stadt bewusst wahrnimmt und von diesem Zeitpunkt an jede Nacht als Wandernder die Stadt betreten wird. Als ob dies nicht genug wäre, wird sie plötzlich auch noch von sonderbaren Schattenreitern gejagt, die ihr sogar in die „reale“ und „wache“ Welt folgen und vor denen sie panische Angst hat. Der finnische Austauschschüler Marian, der kurz vorher von Flora’s Vater und der Haushälterin Christabell und ohne Floras Wissen eingeladen wurde, begegnet dem Mädchen schon im ersten „Wachzustand“ in Eisenheim, was sie natürlich äußerst Misstrauisch werden lässt. In der realen Welt angekommen, versucht er ihr zu erlären, dass er sie beschützen soll und dafür extra von Christabell herbeigerufen wurde.
Im Laufe der Nächte stellt sich heraus, dass Flora’s Seele schon vor ihrem „Erwachen“ in Eisenheim ihr Unheil trieb und mit einiger Hilfe einen wertvollen alchimistischen Stein gestohlen haben soll, um ihn vor unrechtmäßigem Gebrauch zu schützen. Nun wird Flora gejagt – von denen, die den Stein suchen. Doch Flora fehlt jede Erinnerung an den Stein und ihre Taten vor dem „Erwachen“ und auch Marian ist irgendwie nicht das, was er zu sein scheint…
Zitate
„>Cappuccino reicht<, sagte ich schnell. Ich wollte mittlerweile nur nach Hause, mich in meinem Zimmer verkriechen, mir die Decke über den Kopf ziehen und in Ruhe geistesgestört sein.“
„Marians Gesicht war blass, doch der harte Zug um seine Lippen verschwunden. Das Grün seiner Augen schien mich verschlingen zu wollen und erneut durchzuckte mich die Wärme der Erinnerung, der Erinnerung an einen Kuss.“
„Madame Mafalda war fett. Unglaublich fett. Ihr Gesicht besaß die Form und Konsistenz eines Pfannkuchens, in dem winzige Rosinenaugen prangten. Ihr Busen quoll so weit aus dem Ausschnitt ihres Kleides hevor, dass er ihre Doppelkinne berührte und es jedes Mal ein saugendes Geräuscht gab, wenn die alte Dame den Kopf schüttelte und mich tadelte. Zwar hingen ihre Pobacken an den Seiten ihres Stuhles hinunter wie Schlauchboote und ihre Stimme besaß in etwa die Tonlage eines Kanarienvogels, dennoch wagte es niemand, Madame Mafalda zu belächeln. Denn sie war eine Legende.“
Fazit
„Stadt aus Trug und Schatten“ ist der erste Roman einer Trilogie und gleichzeitig der Debütroman der Autorin Mechthild Gläser. Eigentlich stand dieses Buch schon länger auf meiner Wunschliste, das Fantasy Festival in Flörsheim, das am 24.08.12 stattfindet, und bei der Mechthild Gläser aus ihrem Roman vorliest, gab dann den Auslöser mir das Buch doch endlich mal zu schnappen und zu lesen.
Im Prolog begegnen uns zu allererst ein alter Mann und ein junges, schwer verletztes Mädchen, dass den alten Mann mitteilt, dass sie Flora verraten habe. Den Leser irritiert dieser Prolog zu Anfang etwas, schnell wird jedoch klar, dass dies eine Szene ist, die erst später aufgeklärt werden soll – im Nachhinein betrachtet dann also durchaus einen Sinn ergibt.
Das erste Kapitel beginnt damit, dass Flora von ihrem Deutschlehrer geweckt wird, da sie offensichtlich im Unterricht eingeschlafen ist. Flora ist merklich verwirrt, vor allem auch über den seltsamen Traum den sie gehabt zu haben scheint (vermutlich der Prolog) und braucht einige Zeit, um wieder vollständig im Hier und Jetzt anzukommen. Zeitgleich wird uns ihre beste Freundin Wiebke vorgestellt, mit der Flora den Großteil ihrer Zeit verbringt und die ihr schon aus mancher brenzligen Situation heraus geholfen hat. Flora hat nämlich ein Problem: Sie ist schonungslos ehrlich und redet oft, bevor sie anfängt nachzudenken, eine Fähigkeit, die sie in so manch peinliche Situation manövriert. Flora begegnet uns als sympathisches, temperamentvolles Mädchen, dass schon relativ schnell selbständig werden musste, dies aber auch ganz gut hin bekommt. Ihr Vater, der ein großes Aquaristikgeschäft betreibt, hat nicht sehr viel Zeit für Flora, ihre Mutter ist nicht mehr da und die Haushälterin Christabell hilft lieber Floras Vater im Geschäft, als ihre Hausarbeiten zu erledigen.
Flora wird uns im gesamten Roman als willensstarkes junges Mädchen präsentiert, das immer versucht das beste zu tun, sich seiner Sache aber manchmal nicht so sicher ist und so doch etwas unsicherer wirkt, als sie unter anderen Umständen wohl wäre. Besonders die Tatsache, dass sie vor ihrem „Erwachen“ in Eisenheim wohl einiges dort „getan“ hat an das sie sich nicht erinnern kann, macht ihr schwer zu schaffen und das die Erinnerungen nur sehr langsam zurückkommen behagt ihr gar nicht. Auch für Marian entwickelt sie recht schnell eine Zuneigung, diese verunsichert sie jedoch zunehmend als sie erfährt, dass ihre Seele und Marian in Eisenheim (der „Schattenwelt“) bereits eine Beziehung geführt haben. Sie ist sich nicht sicher, ob die Gefühle nur eine Erinnerung an ihr eigenes „selbst“ waren, das in der Schattenwelt gelebt hat ohne dass sie es wusste, oder ob sie tatsächlich in den jungen Finnen verliebt ist.
Marian tut sich mit den Gefühlen für Flora anfangs doch sehr schwer, vorallem da sich ihre Seele und ihr eigentliches Selbst so sehr voneinander zu unterscheiden scheinen, dass er manchmal das Gefühl hat, sie gar nicht zu kennen. Der angebliche Austauschschüler ist dem Leser zwar von Anfang an sympathisch, ebenfalls versteht man die Anziehung, die er auf Flora ausübt, trotzdem hinterfragt man seine Absichten hin und wieder und weiß nicht so genau, auf was er es abgesehen hat oder was er eigentlich vor hat. Sind seine Absichten wirklich nur edel?
Flora’s Vater, sowie die Haushälterin Christabell waren mir auf Anhieb irgendwie sympathisch, vorallem weil beide auf ihre eigene Art und Weise etwas verwirrt und unorganisiert wirken. Trotz ihres seltenen Auftretens in diesem Roman merkt man, dass sie beide Flora sehr lieben und auch wenn sie so manches Geheimnis vor ihr bewahren müssen um sie zu schützen.
Wiebke, Floras beste Freundin, und deren Bruder Linus spielen zwar eher eine untergeordnete Rolle, sorgen sich jedoch sehr um Flora und deren seltsames Verhalten. Linus, der starke Gefühle für Flora hegt, ist dementsprechend eifersüchtig auf Marian und liefert sich mit ihm hin und wieder ein heißes Wortgefecht. Beide wirken sympathisch und besonders Linus scheint ein echt netter Kerl zu sein – manchmal tut er mir schon fast leid, weil er der „verlorenen“ Beziehung mit Flora hinterhertrauert.
Außerdem treten noch einige weitere Personen auf, die allesamt eine tiefgreifendere Rolle spielen und mehr oder weniger sympathisch wirken. Trotzdem passen sie allesamt wunderbar in diesen Roman und man wollte keinen der Protagonisten wirklich missen – jeder spielt seine perfekte kleine Rolle und hat seine eigene Hintergrundgeschichte.
Die Geschichte an sich fand ich außergewöhnlich, interessant, spannend und neuartig. Eine Traumstadt in der sich die Seelen nach dem Einschlafen bewegen, jede einzelne von uns, der Unterschied besteht nur darin, dass wir es entweder wissen oder völlig unwissend bleiben. Eine interessante Theorie, die zum nachdenken anregt und den Leser jeden Abend vor dem Einschlafen aufs neue darüber spekulieren lässt, was mit seiner Seele in dieser Nacht wohl geschehen mag. Träumen wir vielleicht gar nicht und wandeln wirklich in anderen Welten umher? Begehen wir manche Taten wirklich und wundern uns am Morgen wieso der Schlaf so wenig erholsam war? Klasse fand ich auch die Tatsache, dass die Traumstadt Eisenheim nur im Schwarz-Weiß Modus zu „sehen“ war, sowohl für den Leser, als auch für die Protagonisten. Man fühlt sich wie in einem alten Schwarz-Weiß Film und kann so noch besser zwischen Traum und Realität unterscheiden. Besonders schön fand ich auch die Namensgebung der einzelnen Kapitel – endlich bekam man die Kapitel nicht nur mit Zahlen eingeteilt, sondern mit richtigen, kleinen Titelbezeichnungen – toll!
„Stadt aus Trug und Schatten“ überzeugt mit wundervollen bildhaften Beschreibungen, einer witzigen und gut verständlichen Sprache, tollen Protagonisten und einer außergewöhnlichen, neuartigen Geschichte, die den Leser von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln weiß und einen dazu zwingt, dass Buch stellenweise gar nicht mehr aus der Hand zu legen.
Wertung: 5 von 5 Sternen!
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