Inhalt
Dies ist die Geschichte zweier Menschen, die in völlig unterschiedlichen Zeiten aufgewachsen sind und einander trotzdem brauchen, um den Schritt in eine neues Leben wagen zu können. Die Geschichte von David, dem blutjungen Studenten und Hannelore, der hochbetagten alten Dame, die augenscheinlich nichts miteinander zu tun haben und einander nur zufällig begegnen – und doch das Leben des anderen nachhaltig beeinflussen.
Zitate
„Einmal sagte sie, das endlose Überlegen bringe ihrer Erfahrung nach nichts – gerade bei wichtigen Entscheidungen sei es manchmal das Beste, dem Bauchgefühl zu folgen.“
Erster Satz des Buches
„>Kann ich Ihnen helfen<, fragte ich und so lernte ich Frau Berger aus dem zweiten Stock kennen.“
Fazit
„Frau Berger wird unsichtbar“ ist ein Roman der Autorin Kerstin Michelsen, die dem aufmerksamen Leser meines Blog’s schon das ein oder andere mal aufgefallen sein dürfte – denn bisher habe ich jedes ihrer Bücher gelesen (auch wenn ich eines davon nie öffentlich rezensiert habe).
Im Grunde genommen geht es in dieser Geschichte hauptsächlich um Hannelore Berger (wie sie nach ihrer Hochzeit heißt), deren Leben in verschiedenen Lebensabschnitten und durch verschiedene Personen durchleuchtet wird. So lernen wir die alte Dame deutlich besser kennen und können uns ein gutes Bild davon machen, wer sie einmal war und auch ein wenig davon, wer sie heute ist. In den Abschnitten, in denen sie uns in der „heutigen Zeit“ begegnet, lernen wir eine alte Dame kennen, die überaus sympathisch zu sein scheint, wenn auch – mal mehr, mal weniger – zerstreut. Alles was sie tut, ist für sie wahnsinnig anstrengend, alles ist eine Last und auf Grund ihres fortgeschrittenen Alters fällt ihr vieles schwer. Dazu kommt, dass ihre einzige Tochter und deren Familie in Südafrika lebt und ihr deswegen nicht mal für kleinste Tätigkeiten zu Hand gehen kann. Dementsprechend einsam fühlt sich Hannelore und selbst über diese große Distanz hat sie oft das Gefühl, nur zur Last zu fallen und für ihre Tochter mehr Ballast zu sein, als nützlich. Trotzdem lebt sie scheinbar nur für die Anrufe ihrer Tochter, auch wenn diese zugegebenermaßen recht spärlich stattfinden.
Die junge Hannelore lernen wir als Mädchen der Kriegszeit kennen, in der sie sich scheinbar heftig in den verheirateten Nachbar verliebt, der als Soldat an der Front ist. Als er für einige Zeit nach Hause zu Frau und Kindern zurückkehrt, beginnen die beiden eine heimliche Liebschaft, die jedoch nur von kurzer Dauer ist – mit gravierenden Folgen. Als der Nachbar dann zurück an der Front ist, ist Hannelore im Glauben, dass er zurückkommen wird und hofft, voller Naivität, dass er dann seine Frau und seine Kinder im Stich lässt und ein neues Leben mit ihr beginnt.
Wir lernen vieles über Hannelores Leben und erfahren viel über ihre Gefühlswelt, sowohl in der heutigen Zeit, als auch damals. Manchmal kam ich mir beim Lesen so vor, als ob mir eine Frau, die meine Oma sein könnte, ihre persönliche Geschichte gibt, oder mich in ihren geheimen Tagebüchern blättern lässt. Man taucht ein in eine Welt, die sowohl die Vergangenheit, als auch die Gegenwart umfasst und fühlt sich dort als Zuschauer wahrhaftig wohl. Auch Hannelores Gefühle kann man wahnsinnig gut nachvollziehen, sowohl ihre naive und kindliche Art (vorallem weil man bedenken muss, in welcher Zeit sie aufgewachsen ist!), als auch ihre tattrige Art, ihre Einsamkeit und das Gefühl, jedem und immer zur Last zu fallen.
Mir persönlich war Hannelore überaus sympathisch, sie wirkt, wie die nette Omi von nebenan und ehrlich gesagt würde ich mir wünschen, dass ich solch eine Oma hätte. Durch meine Arbeit im Krankenhaus habe ich jeden Tag mit einer Menge alten Menschen zu tun und ich muss zugeben, dass das Bild, das die Autorin von Hannelore entworfen hat, perfekt auf viele der Menschen zutrifft, die ich tagtäglich sehe. Überall die Einsamkeit, das Gefühl zur Last zu fallen und die Freude, wenn sich jemand doch mal wirklich Zeit nimmt, für ein kurzes Gespräch.
Hannelores Tochter Rosemarie lebt seit vielen Jahren in Südafrika und hat sich dort ein eigenes Leben und eine Familie aufgebaut. Durch ihre Gedankengänge, an denen wir hin und wieder teilhaben dürfen, erkennen wir recht deutlich, dass sie sich in einem Zwiespalt befindet, bezüglich der Gefühle gegenüber ihrer Mutter. Einerseits vermisst sie sie schrecklich und hat Sehnsucht nach ihrer Zuneigung, andererseits empfindet sie Verachtung. Die Verachtung rührt daher, da sie als Kind sehr oft alleine gelassen wurde und „nur“ Oma Clara zur Verfügung stand. In einer Episode erleben wir dann auch hautnah, wie Rosemarie ihre Kindheit sogar „schöndenkt“ und sich einbildet, ihre Mutter wäre da gewesen, statt Oma Clara. Mir persönlich war Rosemarie zwar nicht unsympathisch, ich konnte ihre Abneigung gegenüber ihrer Mutter durchaus nachvollziehen, genauso aber auch die Sehnsucht und der Zwiespalt, in dem sie sich stets wiederfinden muss, trotzdem kam sie eigentlich zu wenig vor, um sich ein richtiges Bild von ihr zu machen.
Student David, der uns direkt im zweiten Kapitel begegnet ist zu Beginn ein Mensch, der in den Tag hinein lebt, viele Liebschaften pflegt und sein Studium vernachlässigt. Von Verantwortung will er nichts wissen und sucht für sich selbst wohl immer den angenehmsten und schönsten Weg. Als er durch Zufall unserer Hannelore Berger begegnet und durch eine seltene Anwandlung plötzlich Hilfsbereit wird (wobei ich nicht glaube, dass er das vorher nicht war, es trat nur nicht zum Vorschein!), erkennt er, dass die Gegenwart älterer Menschen durchaus angenehm sein kann! Bald darauf werden ihm die Besuche bei Frau Berger jedoch wieder zur Pflicht und er bekommt das Gefühl, Verantwortung zu übernehmen – was er aber scheut. Einerseits empfindet er ein gewisses Pflichtbewusstsein, der alten Dame gegenüber, sowie eine gewisse Zuneigung, andererseits liebt er sein Lotterleben und möchte dies auch nicht aufgeben. Innerhalb des Romanes macht David jedoch eine Verwandlung durch, einen Sprung in der Entwicklung und bemerkt, dass ihm das doch ganz gut tut. David war mir von Anfang an sympathisch, denn irgendwie war mir klar, das kein schlechter Kerl hinter dem feierwütigen Studenten steckt, auch wenn er die neu gewonne Freiheit, weitab des Elternhauses, genießt. Als David dann erkennt, was in ihm steckt, wurde er mir sogar noch ein Stück sympathischer und ich bin froh, dass er sich tatsächlich so weiterentwickeln konnte!
Insgesamt vermittelt diese Geschichte gleichermaßen eine gewisse Niedergeschlagenheit, wie auch eine Lebhaftigkeit, die man in meiner Rezension nun vielleicht nicht besonders gut erkennen kann, die das Buch aber trotz der eher nachdenklicheren Thematik bunt und interessant gestaltet. In den verschiedenen Kapiteln wechseln die Erzähler-Protagonisten, sodass man in jeden der wichtigen Charaktere (Rosemarie, Hannelore und David) hinein“schauen“ kann und das zu verschiedenen Zeiten. Man macht wahre Jahrzehnt-Sprünge und erlebt zwar verschiedene Personen zu verschiedenen Zeiten, jedoch nie die gleiche Situation aus verschiedener Sicht (was ich gut so finde). Ich persönlich kann euch, aus meiner Sicht, diesen Roman wärmstens ans Herz legen, denn er regt zum Nachdenken an, macht Spaß beim Lesen und lässt uns unsere ältere Generation vielleicht mal mit ganz anderen Augen sehen – was nie verkehrt sein kann.
Wertung: 5 von 5 Sterne!
Ein herzliches Dankeschön an die Autorin, für das Bereitstellen dieses Rezensionsexemplares!
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